Detroit hat einen Flughafen. Davon wollte ich trotz der 800km weiten Strecke nach Washington keinen Gebrauch machen. Ich reise, um Land und Leute kennen zu lernen, nicht um Strecke zurück zu legen. Daher wollte ich mit dem Zug nach Washington reisen.
Die Zuganbindung von und nach Detroit ist jedoch bescheiden. Der ehemalige Hauptbahnhof wurde schon in den 80er Jahren geschlossen, verwahrlost seitdem und gilt als Wahrzeichen des Untergangs Detroits. Daher musste ich mit dem Bus ins eine Stunde entfernte Toledo reisen, um von dort mit dem Zug weiterzureisen. Bus- und Bahnfahren ist in den USA jedoch ein Abenteuer für sich.
Morgens am Detroiter Busbahnhof angekommen, merkte ich, dass das Busfahren zwar günstig ist, aber auch dementsprechende Klientel anlockt. So saß dort eine bunte Mischung an gezeichneten Gestalten und Günstig-Reisen-Wollenden (wohl auch einige Studenten). Darunter befand sich eine dreiköfpige Familie, die dem Begriff „Flodders“ nicht besser hätte entsprechen können. Alle drei waren mit minimalem Intellekt, billigen grauen Jogging-Anzügen (die wohl noch nie ihrer Bestimmung zugeführt wurden) und mit hohem Selbstbewusstsein ausgestattet. Zusätzliche Acessoires umfassten:
- beim Flodder-Vater: cool auf den gegelten Haaren parkende Sonnenbrille und ausgefilztes Fliegerjacken-Imitat
- bei der Flodder-Mutter: einfallslose, schlecht gemachte Tätowierung am Hals und ein überhängender Bauch, der sich immer wieder den Weg in die Freiheit zu bahnen versuchte
- beim 20-jährigen Sprößling: statt den familienüblichen billigen Sportschuhen trug er Adiletten – nebst bei -3°C und Schnee angebrachter Wintermütze und dicken Handschuhen
Aber mit der High Society konnte ich am Busbahnhof eh nicht rechnen. Bus- & Bahnfahren ist bei Überlandfahrten in den USA eben nicht populär. Das Flugzeug ist bei den weiten Strecken deutlich schneller als Bus & Bahn.
Witzigerweise hat sich in den USA beim Bus- & Bahnfahren ein ähnliches Check-In-System etabliert wie an Flughäfen: mit dicken Tickets, Ausweis-Vorzeigen, Gepäck-Einchecken, Sicherheits-Checks und Gates. Für einen Europäer wirkt das alles etwas überzogen, bei uns klappt’s ja auch ohne. Aber mit der Erfahrung der letzten Monate überwand ich diese Hürden natürlich bravourös 😉
Ich kam unbeschadet in Toledo an. Von hier aus sollte es mit dem Zug weitergehen, allerdings erst in knapp 11 Stunden, denn der Zug nach Washington fuhr erst gegen Mitternacht. Aber das war mir vorher bewusst. Die Wartezeit wollte ich nutzen, um ein wenig in Toledo herum zu streunen. Dafür musste ich allerdings noch mein Gepäck am Bahnhof hinterlegen. Was ich allerdings nicht wusste: …
… der Bahnhof hat Öffnungszeiten wie ein Nachtlokal! Von 22 Uhr bis 13:30 Uhr! Und es war genau 13:40 Uhr. Juhu! Mein Gepäck durfte ich also in den nächsten 9 Stunden bei mir behalten. Mit diesen unhandlichen 15kg lässt sich nur sehr ungemütlich „umher streunen“, zumal es -9°C waren und der Stadt (und mir) Schnee, Eis und Wind stark zusetzten. Zudem war es gefährlich, meine gesamte Habe in der Gegend umherzuschleppen.
In den mir verbleibenden 9 Stunden habe ich mich in Restaurants und Cafes aufgewärmt. Mit dem ganzen Gepäck muss ich gewirkt haben wie ein Obdachloser.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, Franchise-Ketten wie Burger King, McDonalds und Pizza Hut zu meiden – denn das kann ich auch alles zu Hause haben! Ich wollte mir lieber lokale Restaurants suchen. Die Burger-Kultur ist dort natürlich auch stark verbreitet, die Burger schmecken aber einfach „hausgemacht“ oder haben eine lokale Note. Auf Hawaii aß ich beispielsweise einen leckeren Burger mit Ananas … Hmm, Hawaii! 30° und Strand-Feeling. Das wär jetzt toll! … Ich schweife ab: Leider musste ich mit meinem Franchise-Vorsatz brechen. McDonalds bietet in den USA kostenloses WLAN. Und da ich eh grad Zeit hatte, konnte ich halt ein bisschen im Internet surfen 🙂
Zudem konnte ich noch etwas Zeit in einem Waschsalon totschlagen und hatte somit schon eine für Washington angedachte Aufgabe erledigt: Wäsche waschen 🙂
Nach „abgesessener“ Wartezeit durfte ich dann endlich den nachtaktiven Bahnhof von innen bestaunen – eine Bar hatten sie leider nicht, auch die Disco-Kugel fehlte 😉 Mein Zug traf fast pünktlich ein. Im Zug saßen einige Amish. Ich war interessiert, aber müde. Es war ein langer und kalter Tag.
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