Ich wache in meiner im Süden von Libreville gelegenen Pension auf. Die Stadt Libreville verteilt sich entlang der Küste. Stadtzentrum, Flughafen und Stadion liegen 10, 20 bzw. 25km entfernt im Norden. Die Strecken sind zu Fuß eher ungünstig. Aber immer noch besser als im Stadtzentrum 350€ pro Nacht für ein Hotelzimmer zu bezahlen und (laut Rezension) ein dreckiges Zimmer zu bekommen.

Ich bin zufrieden mit meinem Zimmer: Großes Bett, funktionierende Dusche, keine Mücken, zuverlässiges WLAN, alles sauber. Juhu! Der Preis reicht trotzdem für ein gutes Hotelzimmer in Friedrichshain. Gabun ist ziemlich teuer.

Beim Frühstück schwitzt mein Körper den Tee, den ich mir zuführe, sofort in Schwällen wieder aus. Kein Wunder bei einer Temperatur knapp unter 30° und einer Luftfeuchtigkeit von 90%. Daran muss ich mich erstmal gewöhnen. Neuer Punkt auf meiner Einkaufsliste: viel Wasser kaufen!

Nach dem Frühstück arbeite ich meine Einkaufsliste ab und schaue mich in der Gegend um. Wie üblich muss ich mich erstmal in die neue Umgebung einfinden und ein paar Nahrungsreserven anlegen.

Doch viel Zeit bleibt mir dafür nicht, denn gleich am ersten Tag steht eine große Aufgabe an: ich will mir das erste Spiel der Afrika-Fußballmeisterschaft im Stadion anschauen … und ich habe noch kein Ticket!

Ich habe im Internet herausgefunden, dass der offizielle Ticketverkauf in ausgewählten Behörden stattfindet. Auf dem Fußweg zum nähestgelegenen sehe ich bereits einige Fans, Vuvuzela-Bläser und Riesenhutverkäufer. Und dabei sind wir noch über 20km entfernt vom Stadion. Am Behördengebäude angekommen lerne ich etwas, das ich schon wusste: Behörden sind samstags geschlossen!

Ich rufe mir ein Taxi und erkläre dem Fahrer, dass ich zum Stadion will aber kein Ticket habe. Er sagt, ich müsse „dort hinten“ zur Busstation. Ich sehe keine Busstation und tue so hilflos wie ich kann. Er nimmt mich mit, lädt unterwegs noch 3 andere ein. Die 4 unterhalten sich, ich verstehe nichts. Ich habe das Gefühl, sie reden mit mir … oder über mich. Ich beschließe nur etwas zu sagen, wenn ich angeschaut werde.

Bushaltestelle, Polizei, Fans. Der Taxifahrer sagte ich kann hier Tickets kaufen. Ich sehe keinen Verkaufsstand. Ich stelle mich hilflos hin. Mein Hilflosigkeit findet erneut Resonanz. Ein Mann kommt auf mich zu und bietet mir flüsternd ein Ticket an. Wir gehen ein paar Meter die Straße herunter, weg von der Polizei. Das Ticket kostet 15€. Sieht offiziell aus, auch wenn es laut Internet ab 50 Cent kosten soll. Aber es ist „2ieme classe“. Vielleicht kriege ich ja Champagner 😉

An der Bushaltestelle lotst mich ein Mann in einen der Busse. Der Bus füllt sich mit Menschen, die deutlich als Fußball-Fans zu erkennen sind. Der Bus setzt sich in Bewegung. Die Fans feiern bereits. Der Bus wackelt, vuvuzelat, grölt und poltert. Ich bin mittendrin. Geil!

Alle vorbeifahrenden Fans werden bejubelt, besonders die gabunischen und die des Nachbarlandes Kamerun. Sie sitzen in Bussen, auf SUV-Ladeflächen und in Kofferräumen.

Vor dem Stadion angekommen, sprechen mich 5 europäisch Aussehende auf deutsch an. Sie haben noch zwei Tickets übrig. Auf die Frage woher sie wissen, dass ich Deutscher bin, antworten sie einfach „Du siehst so aus! Und es sind viele Deutsche hier.“ Als ich sage, ich komme aus MV, meinen sie, ich solle doch genauer sein. Sie kämen aus Rostock, Greifswald … und Neubrandenburg. Verrückte kleine Welt. Wir verabreden uns lose.

Die Stadionkontrollen sind sehr professionell und scharf. Bis zu meinem Platz werde ich mind. 7 Mal kontrolliert und geleitet. Die erste Kontrolle übernimmt das Militär, welches alle Vuvuzelas und Wasserflaschen einkassiert. Es will wohl verhindern, dass der in der Kritik stehende Präsident Gabuns mit selbigen beworfen wird. Schade, die fehlenden Vuvuzelas nehmen dem ganzen Spektakel Atmosphäre. Mein Rucksack wird an jeder Station intensiv durchsucht.

Bei der 2-stündigen Eröffnungsfeier stelle ich fest, ich kenne zu wenig afrikanische Musik. Das Stadion jubelt und singt mit. Notiz an mich: eine aktuelle „Bravo Hits“ afrikanischer Chart-Musik besorgen 😉

Vor Beginn des Spiels stellt der Stadionsprecher das gabunische Team vor. Jeder Spieler wird bejubelt. Er kommt zu “ … numero neuf Pierre Emerick …“ das ganze Stadion schreit seinen Namen mit und jubelt.

Aubameyang ist der große Star und die Hoffnung seines Landes. Der Rest der Mannschaft spielt nur halbprofessionell. Das Team hat nur Außenseiter-Chancen. Der Gegner Guinea-Biseau aber ebenso.

Auf geht’s! Ich stelle schnell fest: Ich habe einen guten Platz erwischt:

In der ersten Halbzeit tasten sich die Mannschaften ab. Es gibt nicht viele Chancen, eher viele Fehlpässe. Man merkt, dass beide Teams nicht allzu viel Qualität aufbieten können. Gabun hat jedoch mehr Ballbesitz. Kurz nach der Halbzeitpause fällt das 1:0 für Gabun, durch Aubameyang. Das Stadion tobt.

Es wird ein offenes, ausgeglichenes Spiel. In der 90. Minute fällt das 1:1. Die Euphorie weicht der Ernüchterung. Viele Fans verlassen noch vor Abpfiff das Stadion. Da hätte ich mehr Kampfgeist erwartet.

Ansonsten gefällt mir die Atmosphäre im Stadion gut. Insbesondere gefällt mir, dass man keine Bierbecher und Flaschen im Rücken hat und auch keiner raucht. Getrunken werden darf nur hinter der Tribüne und rauchen tut hier keiner, weil … ja warum überhaupt? Ich weiß gar nicht, ob die Gabuner ein besonders gesundes Volk sind oder ob bei der Stadionkontrolle auch Zigarretten abgeknöpft wurden. Na egal, blöd ist nur, dass es im Stadion zwar Getränkestände gibt, aber keine Imbissbuden. Bei 5 Stunden Fußball – es finden 2 Spiele hintereinander statt – ist das energieraubend.

Vor dem zweiten Spiel – Kamerun gegen Burkina Faso – bemerke ich deutlich mehr Vuvuzelas und Trommeln. Die Kontrollen sind nun nicht mehr ganz so scharf. Der Kameruner Fanblock macht ordentlich Stimmung. Das Stadion ist jedoch nur noch halb voll. Ausverkauft war es beim ersten Spiel jedoch auch nicht.

Im zweiten Spiel sieht man deutlich mehr Qualität: Offensiver Fußball. Die Jungs zaubern. Die Torhüter halten schlecht. So muss afrikanischer Fußball!

Und das ist es auch, was ich so am afrikanischen Fußball mag. Er ist offensiv, er ist verspielt, er ist teils unorganisiert, er macht Fehler. Spieler und Publikum mussten z.B. geschlagene 5 Minuten auf das Einspielen der Hymne von Burkina Faso warten. Und doch haben am Ende alle Freude daran.

Denn der afrikanische Fußball ist nicht so durchgeplant, auf Effizienz getrimmt, durch Laktatwerte und Laufkilometer kühl parametrisiert wie der europäische. Und genau das macht ihn menschlich. Afrikanischer Fußball ist Leidenschaft und Freude. Und dafür lieben ihn die Fans.

Um 22 Uhr mache ich mich auf den Rückweg … Hm, nur wie? Es gibt keine Bushaltestellen am Stadion. Und keinen Taxistand. Die Masse geht zu Fuß in Richtung Stadt. Bis dahin sind es locker 15km, bis zu meinem Hotel sogar 25km. Meine Strategie: Folge der Masse. Sie wird mich schon zur Bushaltestelle bringen. Irgendwie geht’s dann schon weiter.

Ich gehe und gehe. Die Masse nimmt zunehmend ab. Aber gut, ich überhole ja auch einige. Meine „Mitläufer“ schauen mich komisch an.

Nach 5km sehe ich ein, dass meine Strategie nicht aufgeht. Der Abend ist mit 25° zwar milde, die Luftfeuchtigkeit von 90% quetscht jedoch jeden Tropfen Wasser aus meinem Körper. Klingt komisch, ist aber so. Ich bin vollkommen durchgeschwitzt und mein Rachen dürstet nach Wasser. Schön wäre jetzt ein Taxi, doch alle vorbeifahrenden Taxen sind voll, inklusive Menschen im Kofferraum. Sie kommen aus Richtung Stadion. Blöd gelaufen.

Strategiewechsel: Ich gehe bis zum Flughafen. Dort wird schon ein Taxi zu finden sein. Noch 4km.

Unterwegs halte ich an einer Tankstelle, denn mittlerweile mag sogar mein Kopf nicht mehr klar denken und schreit nur noch nach Wasser.

Total durchgeschwitzt und ausgetrocknet komme ich nach 75min am Flughafen an. Ich gehe zum ersten Taxi, das ich finde. Der Taxifahrer guckt mich skeptisch an. Aber er hat wohl schon viele komische Gestalten gesehen. Wir einigen uns auf einen überhöhten Preis. Während der Fahrt schweigen wir uns an.

Ich versuche mein Verschwitztsein zu erklären und durch Humor etwas Spannung aus der Situation zu nehmen. „Je suis une personne fou. J’aime marcher.“ Er ignoriert es weitestgehend. Die Spannung bleibt bestehen.

Wir kommen an meiner Pension an. Nach dem Aussteigen bemerke ich, dass das Portemonnaie nicht an seinem angestammten Hosentaschenplatz ist. Adrenalin-beschleunigt sprinte ich dem Taxi hinterher. Nach 50m hält es. Hätte jemand die Zeit mitgestoppt, wäre wohl mindestens ein deutscher Rekord rausgekommen. Wir suchen das Portemonnaie, er auf dem Beifahrersitz, ich im Rucksack. Nichts zu finden. Und dabei habe ich den Fahrer doch gerade erst ausbezahlt.

Nach intensiver Suche ist der Fahrer leicht genervt. Er vermutet das Portemonnaie am Sprintstart. Ich schließe das aus. So schusselig bin ich einfach nicht. Wir fahren zurück. Der Fahrer steigt aus und findet das Portemonnaie auf dem Bürgersteig. Er hält mir eine Predigt. Ich sehe meine Schusseligkeit ein und gebe ihm einen Finderlohn. Anscheinend hat der Marsch zum Flughafen mir recht stark zugesetzt. Ich will nur noch ins Bett.

Und doch war es ein äußerst erfolgreicher Tag. Eines meiner großen Reiseziele habe ich erreicht, das Eröffnungsspiel des CAN im Stadion zu erleben.

PS: Ach ja, eine Frage bleibt noch zu klären: Wohin ging die Masse an Menschen? Hier kann ich nur Vermutungen anstellen:

  • Ein Teil ging wohl zu ihren im Umkreis geparkten Autos.
  • Ein weiterer Teil zu mit P versehenen Plätzen. Solche Parkplätze sind wohl gleichzeitig auch Taxistände, an denen man sich vergnügt zu acht in ein Taxi quetscht.
  • Busse fuhren nur wenige, wohl eher private oder von Hotels organisierte. Das klappte auf der Hinfahrt besser, dort gab es eine Vielzahl kostenloser, öffentlicher Busse.
  • Die verbleibenden Mitläufer sind die 15km in die Stadt marschiert, weil sie kein Geld fürs Taxi haben. Deshalb wurde ich als europäisch Aussehender auch blöd angeguckt.
Kategorien:  🌎 Runde 2Gabun

1 Kommentar

Marcus · 27. Januar 2017 um 15:44

geilen Geschichten, die das Leben schreibt …

man könnte fast denken, du interessierst dich für afrikanischen Fußball.
Danke für die Berichterstattung. Ich hatte das Spiel bei der Live-Übertragung in der ARD leider nicht sehen können …

Gute Reise!

Marcus

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