Um kurz vor 6 Uhr werde ich geweckt, in direkter Nachbarschaft ist eine Moschee, der Muezzin bittet zum Gebet, alle Nachbar-Moscheen stimmen ins „Allahu Akbar“ ein und steigern ihre Lautstärke, bis der lauteste gekürt ist – so weit ich das verstehe. Das aus nähester Nähe zu hören, ist interessant, aber: Verdammt, es ist früh! Und kalt!
In der Nacht fiel die Temperatur auf 6°. Da Riads sehr offen gehalten sind, herrschen in den Zimmern ähnlich niedrige Temperaturen. Mein Hotelzimmer in Casablanca war da deutlich angenehmer. Aber ein Stück weit suche ich ja auch das Abenteuer. Wenigstens halten mich die zwei Decken halbwegs warm. Ohne Erkältung werde ich hier aber sicher nicht rauskommen.
Das Hostel bietet ein umfängliches Frühstück, inklusive Pfefferminztee mit echten Pfefferminzblättern. Nach ausgiebigem Genuss wird die frische Temperatur erträglicher. Die Couch-, Frühstück- und Laberecke füllt sich langsam und wird mir zu „cool“ und „awesome“. Ich gehe auf die menschenleere Dachterrasse. Dort geht gerade die Sonne auf. Die Sonnenstrahlen haben eine magische Wirkung. Die sozialen Vorteile des Hostels mag ich noch nicht nutzen. Heute bleibe ich Einzelgänger.
Und da ich mich schon mittendrin befinde, erkunde ich heute die Medina. Wie ich nach kurzem, ziellosen Umherlaufen feststelle, ist die Medina von Marrakesch in vielfacher Hinsicht anders als Casablancas:
- Sie ist deutlich größer, verwinkelter und enger.
- An jedem freien Fleck sind Stände aufgebaut.
- Durch die engen Gassen quetschen sich nebst den vielen Menschen noch Fahrräder, Mopeds, kleine Eselskarren und – wo sie durchpassen – Autos. Tempo und Fahrzeug-Zustand sind bedenklich. Man muss seine Sinne und Extremitäten jederzeit gut beisammen halten.
- Ich werde von zig Ortsansässigen angesprochen: beim Gehen und Schauen von Händlern, beim Stehenbleiben von Wegführern. Liegen und Laufen hab ich noch nicht probiert.
Desorientierung und Platzangst sind hier ganz normale Touristenkrankheiten. Zeit zum Durchschnaufen gibt es nicht. Am besten hält man eine Richtung bei, bis man aus dem Labyrinth raus ist. Das kann allerdings eine Weile dauern. Die Medina ist unglaublich groß.
Und dann kommt noch dazu, dass man ständig angequatscht wird. Ich habe keine 30s Ruhe. Das ist perfekt für Leute, die sich sprich- und wortwörtlich in Geduld üben wollen.
Mitten in der Medina gibt es einen großen Marktplatz, den Djemaa el Fna. Auf ihm befinden sich neben vielen Ständen mit frischem Orangensaft gegen Abend auch Garküchen, Artisten, Schlangenbeschwörer und Affen-an-der-Leine-Gassi-Führer. Der O-Saft ist lecker. Der Rest ist zur Kenntnis genommen. Die „Tier-Shows“ sind z.T. als Tierquälerei zu bezeichnen.
Für mich ist das alles nix. Ich hasse es, von Verkäufern und „Freunden“ angesprochen zu werden. Ich mag das Gedränge nicht und ich habe auch kein Interesse an Ledertaschen, Wandteppichen, „Goldtellern“ oder Glitzerschmuck. Und erst Recht mag ich nicht über deren Preis verhandeln! Markt gesehen. Abgehakt. Ich geh jetzt Paläste angucken …
… einen kaputten (El-Badi):
… und einen heilen (Bahia):
Die Paläste haben mich ein wenig besänftigt. Aber scheinbar besteht Marokko nur aus Märkten mit Klimbim und Plunder. Wo sind die Museen zur Jahrhunderte alten Geschichte? Wo ist die kulturelle Identität? Sie besteht wohl nur aus Leute-Anquatschen und Feilschen.
Das einzig Positive an diesem Tag war, dass die Offline-Karten-App auf meinem Handy hervorragend funktioniert, und mich aus diesem irren Treiben herausgelotst hat.
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